Übergeschwappt: Eine fast banale Kaffee-Alltagssituation kann auch wissenschaftlich betrachtet werden
Kaffeewissen

Kaffee und die Big Schwapp Theorie

Zugegeben, ich, Gerhard Bytof, habe Physik auf der Oberstufe abgewählt und auch in meinem Bio-Studium habe ich um Physik, soweit es ging, einen Bogen gemacht. Wenn meine Töchter im Fernsehen eine beliebte Serie über eine WG hochbegabter, aber ziemlich durchgeknallter Physik-Nerds ansehen, schaue ich eher weg. Doch habe ich auch feststellen müssen, dass man beim Thema Kaffee nicht völlig auf die Physik verzichten kann.

Dr. Gerhard Bytof

Was mag wohl passieren, wenn Physiker sich einer fast banalen Kaffee-Alltagssituation wissenschaftlich nähern? Es kann etwas Interessantes dabei herauskommen, etwa wenn man es schafft Ereignisse beim Kaffee erfolgreich für bestimmte High-Tech-Anwendungen umzudeuten. Es kann aber auch dazu führen, dass für eine Sache begeistert Theorien, Berechnungen, Modelle und Formeln aufgestellt werden, bei der wahrscheinlich der wohlmeinende Rat: “Achtung, nicht kleckern!“ weitaus mehr nutzen würde: Wissenschaftler der University of California haben sich wohl gedacht, es sei an der Zeit, sich mit gebotenem Ernst (oder auch nicht, entscheiden Sie selbst) der Theorie des Kaffee-Überschwappens zu widmen (Mayer, H.C. and R. Krechetnikov, Walking with coffee: Why does it spill? Physical Review E 85, 2012). Eigentlich voll aus dem Leben gegriffen- denn: Immer häufiger halten wir einen Kaffeebecher oder eine Kaffeetasse in der Hand und gehen dabei – sei es auf dem Weg von der Kaffeeküche zum Schreibtisch oder mit einem „To-Go“ auf der Straße. Immer geht es dabei mit: das Risiko zu plempern, zu pladdern, zu schwappen - und sich dabei womöglich ernstlich zu verbrühen. Welche Kräfte wirken auf die heiße Flüssigkeit, kann man ihren Drang über den Becherrand vorherberechnen, kontrollieren, verhindern -auch ohne Deckel?

Das Hauptproblem, so die Forscher, sei das Losgehen mit Getränk an sich, denn hierbei entsteht der erste Schwappimpuls. Die Vor- und Rückwärtsbewegungen beim anschließenden Gehen seien noch gut berechenbar,  ähneln sie doch einer Pendelbewegung und so wird sich das erste Schwappen unweigerlich weiter aufschaukeln. Hinzu kommt nun aber, dass wir es weder schaffen, die Tasse durchgängig senkrecht zu halten, noch in immer gleicher Höhe über dem Boden. Auch konnten die Forscher keine gerade Fortbewegungslinie erkennen. Weitere Faktoren, die das Schwappen beeinflussen, sind die Anzahl und Gleichmäßigkeit der Schritte und natürlich die Füllhöhe im Gefäß sowie dessen Form. Wer es schafft, eine in der Tasse rotierende Welle zu erzeugen, senkt das Verschüttungsrisiko.

Versuchen Sie einfach, dies alles beim nächsten Gang mit der Tasse zu berücksichtigen, vielleicht schwappt es ja weniger?

Immerhin, es folgten darüber hinaus auch Lösungsvorschläge: Als Gegenmaßnahmen schlugen die Forscher flexibles, Schwappimpuls-absorbierendes Material oder gar ringförmige, Schwapp-Wellenbrecher an den Gefäßinnenwänden vor. Zu aufwändig? Kein Problem. Denn Schaum bremst stets den Schwappimpuls. Dies fanden jüngst Forscher der New York University heraus (Sauret, A., et al., Damping of liquid sloshing by foams. Physics of Fluids (1994-present), 2015). Das gilt für die Crema oder den Milchschaum auf dem Kaffee, aber ebenso für die Blume auf dem Bier.

Jetzt aber noch eine garantiert Nerd-freie Kaffee-Physik-Beziehung: In der angesehenen wissenschaftlichen Zeitschrift Nature stellte ein Physiker die Kaffeering-Frage: Warum bleibt niemals ein gleichmäßig gefärbter Kreis zurück, wenn ein Tropfen Kaffee auf der Tischplatte trocknet, sondern stets ein dunkler Ring mit kaum gefärbtem Inneren? (Deegan, R.D., et al., Capillary flow as the cause of ring stains from dried liquid drops. Nature, 1997). Es ist tatsächlich so: Alle Kaffeepartikel des Tropfens streben beim Trocknen zum Rand, als gäbe es dort etwas umsonst.

Dieser sogenannte Kaffeering-Effekt beschäftigt nun nicht wirklich die Kaffeeindustrie, sondern wird vielmehr in anderen Branchen heiß diskutiert. Denn es hat enorme Bedeutung für Prozesse, in denen das mikro-gesteuerte Auftragen von Materialien eine Rolle spielt – zum Beispiel bei Mikrofarbstoffen, Nanopartikeln, leitenden oder optischen Beschichtungen sowie chemischen oder biologischen Polymeren. Verantwortlich für den Kaffeeringeffekt sind übrigen Phänomene der Oberflächenspannung; eine Lösung liegt in der Form der Teilchen: arbeitet man z.B. anstatt mit kugelförmigen, gelösten Teilchen mit länglichen, kegelförmigen, kann man den unerwünschten Effekt besser kontrollieren (Yunker, P.J., et al., Suppression of the coffee-ring effect by shape-dependent capillary interactions. Nature, 2011). Angeblich soll das Hollywood-Studio Pixar aufgrund von Forschungserkenntnissen über die Unterdrückung des Kaffeering-Phänomens entscheidende Durchbrüche bei der computergesteuerten Ausführung von Wasserfarben gemacht haben.