Besuch bei \'Cotton made in Africa\' Farmern
Interview Achim Lohrie

10 Jahre Unternehmensverantwortung bei Tchibo

Manche erinnern sich, 2005 wurde Tchibo von kritischen NGOs sehr kritisch und medienwirksam angegriffen. Vorwurf der Nichtregierungsorganisationen: die Verletzung von Sozialstandards in der weltweiten Lieferkette. Um ehrlich zu sein, Tchibo war darauf wenig vorbereitet. Nachhaltigkeit hatte zwar Tradition hier im Familienunternehmen, wurde damals aber insbesondere mit Mitarbeiterorientierung verbunden. Also musste sich einiges ändern. Der Bereich Corporate Responsibility wurde gegründet und der Experte Achim Lohrie als Director Corporate Responsibility eingestellt. Das ist jetzt zehn Jahre her. Was hat sich seitdem verbessert? Hat sich etwas verbessert?

Achim Lohrie, Director Corporate Responsibility Tchibo GmbH

Achim, warum brauchte es den Bereich Unternehmensverantwortung bei Tchibo dringend?

Achim Lohrie:  In gutem Glauben an die Angemessenheit der Entscheidung wurden 2005 für Sozial- und Umweltverantwortung in den weltweiten Lieferketten, wie zu dem Zeitpunkt überwiegend üblich, insbesondere unsere Importeure und unsere Lieferanten in die Pflicht genommen. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) kritisierten diese Delegation von Verantwortung nicht nur bei Tchibo heftig. Sie organsierten Protestaktionen auch vor unseren Filialen. Die Medien berichteten darüber. Der damals neue Tchibo CEO Dr. Markus Conrad entschied sich dazu, Nachhaltigkeit zeitgemäß zu interpretieren und entsprechend zu organisieren. Er holte mich zu Tchibo, da ich bereits aus vorangegangenen Tätigkeiten in anderen Unternehmen und Organisationen Erfahrungen mit dem Aufbau nachhaltiger Lieferketten gesammelt hatte. So entstand 2006 der Direktionsbereich Unternehmensverantwortung bei Tchibo.

In den letzten 10 Jahren ist ja ganz viel bei Tchibo passiert. Ihr habt das Thema Nachhaltigkeit ins Haus gebracht. Das Wort ist allerdings sehr schwammig. Was verstehen wir bei Tchibo unter Nachhaltigkeit?

Achim Lohrie: Man sollte Formeln finden, die den Begriff Nachhaltigkeit verständlicher erklären als Lehrbuchformeln. Meine Formel ist vielleicht ein bisschen einfach, aber sie erregt Aufmerksamkeit nicht nur im eigenen Unternehmen und wird auch sofort verstanden: Nachhaltigkeit im Unternehmen ist für mich „anständig wirtschaften“. Das heißt, wir streben nach Umsatz und Gewinn, ohne dabei die Umwelt zu zerstören und ohne die Menschen, die für und mit uns arbeiten, auszubeuten. Der „ehrbare Kaufmann“ ist ein starkes Leitbild.

Kinder-Projekt mit Save the Children in Chiquimula, Guatemala

Es brennt eigentlich an fast jeder Ecke in punkto Nachhaltigkeit, gerade weil Tchibo so unterschiedliche Produkte hat. Was sind und waren denn die fünf größten Baustellen?

Achim Lohrie: Ich würde eher von Herausforderungen anstatt von Baustellen sprechen. Eine große Herausforderung bestand darin, als einer der zehn größten Verarbeiter von Baumwolle in Deutschland möglichst kurzfristig nur noch Baumwolle aus nachhaltigen Quellen zu beziehen. Der Bezug dieser nachhaltigen Baumwolle für unsere Lieferketten ist nicht einfach mit einem Telefonanruf „Schickt jetzt mal Bio-Baumwolle an unsere Konfektionäre“ getan. Dahinter stehen viele Entwicklungsprojekte am Baumwollursprung, z.B. in Indien und den afrikanischen Subsahara-Regionen, wie beispielsweise Äthiopien.

Vergleichbare Prozesse haben wir im Bereich Kaffee vorangebracht, also die sukzessive Umstellung des konventionellen Kaffeeanbaus auf einen nachhaltigen. Auch dahinter stehen Kooperationen und gemeinsame Entwicklungsprojekte mit teilweise lokalen Partnern am Kaffeeursprung rund um den Äquator.

Kenianische Farmerinnen bei Kaffeeernte

Die nächste Herausforderung beim Thema Nachhaltigkeit war die Umstellung von Produkten aus Holz und Papier bzw. Zellstoff auf nachhaltige Profile. Tchibo ist eines der großen holzverarbeitenden und holzvertreibenden Unternehmen: Salatbestecke, Möbel aus Holz, oder einfach der Versandkarton und das Papier für die Magazine.

WE-Workshop Modellprojekt in Bangladesch

Eine Herausforderung, die uns kontinuierlich beschäftigt, ist die Durchsetzung von Sozialstandards in den weltweiten Zulieferketten für Gebrauchsartikel. In diesem Thema kommen wir aus der Kampagne von 2005 und ich glaube, da sind wir mittlerweile sehr gut aufgestellt. Mit unserem eigenen Entwicklungsprogramm „WE“ (Worldwide Enhancement of Social Quality) schulen wir auf Basis von Dialogen Eigentümer, Manager und Beschäftigte unserer strategischen Fabriken auf die Einhaltung elementarer Arbeits- und Sozialstandards. Das Programm ist bisher einmalig in der europäischen und internationalen Handelslandschaft.

Durch Einflüsse, die aktuell insbesondere von der Politik kommen, zum Beispiel das Bündnis für nachhaltige Textilien der Bundesregierung, werden wir jetzt gefordert sein, “WE“ auf die komplette textile Lieferkette zu erstrecken. Wir werden also von der Faserproduktion über das Verspinnen, das Färben sowie Verweben der Fasern bis zur Konfektionierung des fertigen Artikels alle Verarbeitungsstufen in den Blick nehmen.

Angesichts der Komplexität und Intransparenz weltweiter, arbeitsteiliger Lieferketten ist das dann sicher die fünfte Herausforderung. Und hier würde ich dann wohl doch von einer Baustelle sprechen.

In Prozent - wo steht Tchibo bei der Umsetzung von Nachhaltigkeit jetzt?

Achim Lohrie: Wir haben das Ziel einer 100% nachhaltigen Geschäftstätigkeit. Aufgrund unseres vielfältigen Sortiments kann ich das nicht anhand einer Skala festlegen. Was ich konkret sagen kann: 80% bis 85% unserer Textilien aus bzw. mit Baumwolle werden in diesem Jahr mit Baumwolle aus verantwortlichem Anbau gefertigt, 30% unserer Holz- und Papierprodukte sind FSC-zertifiziert, bei 100% haben wir Transparenz über die Herkunft der Hölzer. Rund 40% unserer Kaffees stammen aus nachhaltigem Anbau. Wir sind unserem Ziel schon ein gutes Stück näher gekommen, es ist aber noch einiges zu tun.

Baumwollanbau in Benin

Wie weit wird denn eine 100% nachhaltige Haltung von außen, auch etwa vom Konsumenten, verlangt? Hat sich in den vergangenen zehn Jahren in der Gesellschaft etwas verändert?

Achim Lohrie: Ich glaube Nachhaltigkeit ist nicht einfach ein Trend, es ist ein gesetztes Thema. Das merkt man in der Politik, bei den Nichtregierungsorganisationen und auch in der Wirtschaft – es gibt aus meiner Sicht kein Unternehmen, welches es sich leisten kann, am Thema Nachhaltigkeit nicht zu arbeiten.

Der Endverbraucher muss verstehen, dass er mit einem nachhaltigen bzw. „werthaltigeren“ Einkauf langfristig gesehen für uns alle die richtige Entscheidung trifft. Das heißt aber auch, nicht immer nur nach dem Preis zu schauen. Mittelfristig müssen Verbraucher umdenken. Dass diese Verhaltensveränderung bereits angestoßen wurde, sieht man an diversen Studien. Es gibt verschiedene Typen von Endverbrauchern: Den Hochsensibilisierten, aber auch den, der sich nicht für Nachhaltigkeit interessiert. Grundsätzlich glaube ich aber, dass jeder Endverbraucher sorgenfrei konsumieren möchte. Das verstärkte Angebot nachhaltiger Produkte unterstützt den Konsumenten dabei.

Es gab sicher auch Niederlagen in eurem Bereich?

Achim Lohrie: Handfeste Niederlagen mussten wir bisher nicht hinnehmen. Das liegt insbesondere auch am Rückenwind, den wir von Gesellschaftern und Geschäftsführung, an deren Spitze vom CEO, und unseren Kolleginnen und Kollegen in den Fachbereichen bekommen. Natürlich bewegen wir uns durchaus auf politisch schwierigem Terrain. Wir haben mit Ansprüchen von NGOs zu tun, die teilweise kooperativ, teilweise aber auch kampagnenorientiert agieren. Das ist durchaus eine Herausforderung. Die Frage ist dann: Wie binden wir NGOs in unsere Projekte ein? Hier reicht das Instrumentarium von ehrlicher Information über konstruktivem Dialog bis zur Integration.

Dein persönlich schönstes Ergebnis oder Erlebnis?

Achim Lohrie: Das schönste Erlebnis ist das ausgesprochen erfolgreiche Mount Kenya-Frauenprojekt, welches wir von 2011-2013 betreut bzw. mit den Frauen vor Ort aufgebaut haben. Ziel des Projekts war es, die Kaffeefarmerfrauen am Mount Kenya so zu stärken, dass sie neben dem Kaffeeanbau zusätzliche Einnahmemöglichkeiten entwickeln konnten. Selbst mit nachhaltigem Kaffeeanbau lässt sich der Lebensunterhalt auf Farmen, die im Schnitt kleiner als 1 Hektar sind, nur schwer verdienen. Wir haben die Frauen unter anderem dabei unterstützt, zusätzlich Viehwirtschaft zu betreiben. Sie können dadurch beispielsweise Kuhmilch selber verwenden oder auf dem Markt verkaufen und gleichzeitig den Kuhdung als natürlichen Dünger für die Kaffeepflanzen verwenden. Durch diese Hilfe zur Selbsthilfe verfügen die Farmerfamilien über mehr Einkommensmöglichkeiten.

Mount Kenya Project: Wasseranschluss für Farmerfrauen (im Bild Purity Muthoni)

Die Frauen zeigten auch unglaubliche Eigeninitiative: Wir haben in einem Dorf eine Frauengruppe dabei unterstützt eine Wasserleitung zu ihrer Dorfgemeinschaft zu ziehen. Man muss sich mal vorstellen, dass diese Frauen vorher bis zu 12mal am Tag mehrere Kilometer zu einem Fluss gelaufen sind, um Wasser für sich, ihre Gemüsegärten und ihre Tiere zu holen. Eine Kuh allein trinkt um die 60 Liter Wasser am Tag.

Beeindruckt haben uns die Frauen mit ihrem Willen, bei diesem herausfordernden Projekt selbst Hand mit anzulegen. „Wenn wir nicht mitarbeiten, können wir die Wasserleitung nicht wertschätzen“, sagte uns damals eine Frau. Also gruben die Frauen über 12 Kilometer lang den Graben für die Leitung. Die gesamte Community inklusive der Männer hat die Frauen bei ihrem Vorhaben unterstützt. Selbst dicke Felsen konnten sie nicht abhalten. Mit einem erfreulichen Ergebnis: Rund 350 Familien haben Zugang zu Wasser erhalten. Über eine Gebühr sorgen die Familien dafür, dass Reparaturen an der Leitung finanziert werden können. Das ist ein tolles Beispiel für ein nachhaltiges Projekt. Wir freuen uns sehr über die Ergebnisse und fahren mindestens einmal im Jahr nach Kenia, um uns mit den Frauen zusammen zu setzen. Wir fragen nach, wie es bei ihnen läuft und wo wir noch unterstützen können.

Inwieweit wird sich die Flüchtlingskrise auf Tchibo als großes deutsches Unternehmen auswirken? Haben wir eine spezielle soziale Verantwortung für die Flüchtlinge und könnten wir sie auch in Arbeitsprozesse einbinden?

Achim Lohrie: Natürlich wirkt sich das aus. Wir leben und arbeiten schließlich in einer globalisierten Welt. Was hier passiert, ist eine Tragödie. Niemand verlässt freiwillig ohne zwingende Gründe seine Heimat. Als Unternehmen können wir durch gezielte bedarfsgerechte Sachspenden zur Erstversorgung der Flüchtlinge beitragen. Die Integration der Flüchtlinge wird entscheidend von den deutschen Sprachkenntnissen abhängen, die z.B. auch durch Praktika in Unternehmen weiter gefördert werden können. Es kommen zudem teilweise hervorragend ausgebildete Fachkräfte, die sich gut in den Arbeitsmarkt werden integrieren lassen. Mindestens ebenso wichtig sind jedoch Maßnahmen zur Bekämpfung der Fluchtursachen. Hier ist insbesondere die internationale Politik gefordert. Mit einer nachhaltigen, das heißt ökonomisch, ökologisch und sozial fairen Einkaufspolitik können wir als Unternehmen zumindest zur Reduktion von wirtschaftlichen Fluchtgründen bei Menschen in sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern beitragen.

Zum Ausblick. Wir haben das ehrgeizige Ziel von einem 100% nachhaltigem Geschäft. Kann das denn erreicht werden?

Achim Lohrie (schmunzelt): Das ist eine gute Frage: Was bedeutet ein 100% nachhaltiges Geschäft? Es gibt unterschiedliche Ansprüche, die gestellt werden. Für den hypersensibilisierten Kunden ist eine Textilie aus Biobaumwolle, wie wir sie im Sortiment haben, noch nicht anspruchsvoll genug. Dieser Kunde würde sagen, das reicht an Nachhaltigkeit noch nicht aus. Für uns als Unternehmen hingegen ist dies bereits einer der großen Schritte. Insofern ist es auch eine Frage der Interpretation und der Positionierung des Unternehmens insgesamt im Wettbewerb. Wir haben hohe Ansprüche, die in unseren Standards dokumentiert sind; beispielsweise Fairtrade, Rainforest Alliance, UTZ Certified und Bio Zertifizierung sowie 4C Validierung im Bereich Kaffee, Organic Cotton oder Cotton Made in Africa, FSC und in Zukunft auch GOTS. Diese Standards sind von unterschiedlichen Anspruchstellern in der Gesellschaft, auch von NGOs, als Nachhaltigkeits-Standard anerkannt. Daran orientieren wir uns und möchten unsere Produkte und Prozesse, die in diesem Sinne auch optimierbar sind, nach diesen Standards auf 100% bringen.

Uns ist aber auch bewusst, dass Ansprüche sich verändern, sich Veränderungen der Umwelt- und sozialen Einflüsse ergeben, und dadurch Ansprüche möglicherweise höher werden. Damit gilt bei unserem Ziel von 100% Nachhaltigkeit immer noch „Der Weg ist das Ziel“. Wir sind auf einem guten Weg – wir würden uns freuen, wenn der Konsument den Weg mit uns geht.