Mensch & Verantwortung
Interview Kai Noack, Bundesverband Tafeln

Tafel Aktion: 100.000 Pakete, noch mehr Schokolade, und jetzt?

100.000 Pakete für Bedürftige. Sicherlich ein Tropfen auf dem heißen Stein, dennoch haben sich viele Besucher der Tafeln zu Weihnachten über die Tchibo Pakete mit praktisch/schönem Inhalt (Pfannen, Schlafanzüge, Kinderspielzeug) gefreut. Tchibo Kunden wiederum unterstützen viele Tafel Projekte mit dem Kauf der Schokolade "Jede Tafel eine gute Tat". Was genau passiert nun? Welche Landesteile und Projekte sind besonders wichtig? Was machen die Tafeln für Rentner und Kinder? Ich fragte bei Kai Noack nach, er ist stellvertretender Vorsitzender im Vorstand der Tafel Deutschland.

Herr Noack, Tchibo hat zu Weihnachten zum zweiten Mal ein „Weihnachtswunder“ vollbracht und 100.000 Pakete für Bedürftige an die Tafeln in Deutschland verteilt. Ihr Eindruck: Wie kam die Aktion bei den Tafelmitarbeitern und den Tafelkunden an?

Kai Noack: Die Aktion wurde von unseren Mitarbeitern und von den Tafel-Kunden sehr gut angenommen. Unsere Helfer hatten große Freude daran, die Tafel-Kunden in der Vorweihnachtszeit zu beschenken. Viele Tafeln wurden kreativ und verlosten die Geschenke, manche veranstalteten einen Weihnachtsmarkt. Einige Bedürftige gaben die Waren als Weihnachtsgeschenk an ihre Kinder weiter. In den letzten Jahren haben wir beobachtet, dass neben den gespendeten Lebensmitteln Non-Food-Spenden für Tafeln immer mehr an Bedeutung gewinnen. Tafel-Kunden schaffen sich so einen kleinen finanziellen Spielraum, etwa für Kleidung, Spielsachen oder kulturelle Teilhabe.

Sie teilen nicht nur Lebensmittel aus, sondern führen landesweit noch viele andere Projekte durch. Können Sie diese kurz skizzieren?

Kai Noack: Wir unterstützen die Mitglieds-Tafeln finanziell mit der Förderung nachhaltig wirksamer Projekte. Um den steigenden Anforderungen an die Verteilung von Waren und Lebensmitteln zu begegnen, ist zum Beispiel der Ausbau der verbandsinternen Logistik erforderlich. Unser Ziel ist dabei, die Verteilung von Großmengen mit möglichst umweltfreundlichen Transporten ausgewogen und flächendeckend zu organisieren.

Wir fördern auch Anschaffungen von Kühlfahrzeugen und -systemen, mit deren Hilfe die jeweilige Tafel die Vorschriften der Lebensmittelhygiene, insbesondere die Kühlkette, lückenlos einhalten kann. Besonders wichtig ist uns auch, Kindern und Jugendlichen die Teilhabe am sozialen Leben zu ermöglichen. Tafeln arbeiten dabei eng mit Kitas, Schulen, aber auch anderen Einrichtungen der Jugendhilfe zusammen.

Auch die Altersarmut macht sich bei den Tafeln stark bemerkbar. Viele Tafeln bieten für Senioren spezielle Angebote an, wie z.B. Bringdienste oder Seniorencafés. Tafeln sind als Orte der Begegnung wahre Integrationsmotoren. Geflüchtete werden qualifiziert, um sich ehrenamtlich bei den Tafeln zu engagieren, Tafel-Mitarbeiter werden im Bereich interkultureller Kompetenz geschult. Viele Tafeln beraten Bedürftige, bieten ihnen Weiterbildungen an oder vermitteln sie in Angebote anderer sozialer Träger.

Auch der Verkaufspreis unserer Schokoladenaktion „Jede Tafel eine gute Tat“ wurde der Tafel Deutschland für Projekte zur Verfügung gestellt. Gibt es schon konkrete Pläne, wofür das Geld verwendet werden soll?

Kai Noack: Uns erreichten zahlreiche Förderanträge von Tafeln für spezielle Projekte in den Bereichen Integration, Kinder und Jugendliche, Senioren, Nachhaltigkeit und Hygiene. Unser Ziel ist es, mit den finanziellen Mitteln der Schokoladenaktion nachhaltig wirksame Projekte lokaler Tafeln zu fördern. Das Geld fließt in fünf konkrete Projekte: Da ist zum einem die Osnabrücker Tafel, die 400 Kindern ein ausgewogenes Frühstück bietet. Die frischen Lebensmittel werden mit tafeleigenen Autos zu 21 Einrichtungen gefahren. Das ausgewogene Frühstück soll die Entwicklung sozial benachteiligter Kinder fördern und vor Ausgrenzung in der Gesellschaft schützen. Im Juli beginnt die Projektförderung.

Die Ludwigshafener Tafel versorgt immer mehr Kunden und benötigt dafür mehr Platz. Mit dem Ausbau der Tafel können zusätzlich 500 Bedürftige versorgt werden. Im August 2018 soll mit dem Ausbau begonnen werden. Auch die Tafel Fürstenwalde benötigt Gelder, um ab Juli marode Fenster durch ein modernes Fenster-System zu ersetzen. Die laufenden Energiekosten können so in den kommenden Jahren reduziert und die Finanzierung der Tafel nachhaltig gesichert werden. Die Tafel Kusel plant im Rahmen ihres Integrationsprogrammes, im Juli mit Tafel-Kunden in den „Rosengarten Zweibrücken“ zu fahren. Die Fahrt soll das Verständnis zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen fördern.

Die Papenburger Tafel fördert dank der finanziellen Mittel das bereits laufende Projekt „Mittagstisch“. Senioren, kranke Tafel-Kunden und Menschen mit Behinderung, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, werden abgeholt, um mit ehrenamtlichen Helfern zu kochen und gemeinsam zu essen. So erhalten teilnehmende Personen ein gesundes Mittagessen in Gemeinschaft an vier Tagen in der Woche. Wir freuen uns sehr, dank Ihrer Unterstützung, diese wichtigen Projekte fördern zu können.

Welches Projekt liegt Ihnen dieses Jahr besonders am Herzen? Wie kann das von uns oder anderen unterstützt werden?

Kai Noack: Seit 25 Jahren gibt es die Tafeln in Deutschland – inzwischen sind es über 940. An den Herausforderungen hat sich einiges geändert. Dabei sind diese jedoch je nach Region sehr unterschiedlich: Die Tafeln in strukturschwachen Regionen haben andere Bedingungen als Tafeln in Regionen in denen sich finanzstarke Unternehmen befinden - urbane Tafeln andere als ländliche. Das Ziel der 60.000 Helferinnen und Helfern bei den Tafeln ist es, Armut zu lindern und Lebensmittel zu retten.

Wir fördern, dass sich Tafeln stärker vernetzen und somit über die besonderen regionalen Herausforderungen austauschen können. Wissens- und Erfahrungsaustausch ist eine starke Hilfestellung für die Tafeln. Als Dachverband motivieren wir unsere Mitglieds-Tafeln, die Anliegen auch gegenüber den Kommunen und Medien vor Ort stärker zu kommunizieren. Die Stimme von 940 Tafeln auf allen Ebenen soll klarmachen, dass nicht die Tafeln, sondern die Politik und Gesellschaft Konsequenzen in der Armuts- und Lebensmittelverschwendungsthematik ziehen müssen.

Neben Rentnern stellen Kinder und Jugendliche die größte Gruppe der Tafel-Kunden. Ihr Anteil liegt mittlerweile bei 30%. Die Förderung von Kindern und Jugendlichen liegt uns daher besonders am Herzen. Armut darf nicht länger vererbt werden. Bildung ist der beste Schutz vor Armut. Neben der Unterstützung und finanziellen Entlastung durch die Lebensmittelausgabe organisieren die meisten Tafeln auch spezielle Projekte für Kinder und Jugendliche rund um das Thema Ernährung – zum Beispiel Kochkurse, Kindertafeln und Schulfrühstücke. Außerdem bieten manche Tafeln Hausaufgaben-Hilfen, Musikunterricht, Filmnachmittage, Ferienfreizeiten und sogar Konfliktbewältigungs-Trainings an.

Diese Projekte sind nur mit den vielen Ehrenamtlichen möglich. Bürgerschaftliches Engagement ist eine starke Säule in unserer Gesellschaft: Um die Stärkung des Ehrenamtes in die Debatte mit einzubringen haben wir eine Petition gestartet: www.tafel.de/tafel-petition. Wir fordern: Wer sich nachweislich für viele Jahre ehrenamtlich engagiert hat, soll künftig zusätzliche Rentenpunkte erhalten! Jeder kann unterzeichnen, denn je mehr sich beteiligen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Petition Erfolg hat.

Auch die Digitalisierung wird ein immer wichtigeres Thema. Tafeln und Supermärkte müssen sich vor Ort besser vernetzen, um die Spendenmenge aus dem Einzelhandel zu erhöhen und Lebensmittelverschwendung weiter zu reduzieren.