Herausforderung: Faire Löhne in den Herstellerländern

Lassen Sie uns über Geld reden. Genauer: Über Lohn für die Arbeiter in den Tchibo Fabriken. Tchibo Fabriken in dem Sinne gibt es nicht, aber natürlich feste Lieferanten, die für uns arbeiten. Mit dem WE Programm verbessern wir bereits das Lohn- und Auszahlungssystem, im Schnitt erreicht Tchibo damit Lohnerhöhungen von 30-50 Prozent. Dennoch: Es besteht - gemessen an externen Berechnungen - noch eine deutliche Lücke zu einem sogenannten existenzsichernden Lohn. Warum ist das so?

Nanda Bergstein

Fragen wir Nanda Bergstein, Leiterin Nachhaltigkeit und Lieferantenbeziehungen bei Tchibo Non Food. Vergangene Woche traf sie sich mit Vertretern von Inditex, Tesco, Debenhams sowie H&M in Kambodscha. Ihr gemeinsames Ziel: Existenzsichernde Löhne in der globalen Bekleidungs- und Textilindustrie zu erreichen. Dazu wurde die Initiative ACT (Action Collaboration Tranformation)  gegründet. Dazu gleich mehr. Erstmal die naheliegende Frage.

Kann Tchibo nicht einfach mehr für die Produkte zahlen, damit die Fabrikarbeiter höhere Löhne erhalten?

Nanda Bergstein: Diese Frage bekommen wir häufig gestellt. Und es klingt auch logisch, dass sich ein höherer Preis automatisch in höhere Löhne umwandelt. Hierzu ist es wichtig zu wissen, dass wir keine Fabrik vollständig bzw. überwiegend mit Tchibo Aufträgen auslasten, auch wenn wir versuchen unsere Aufträge möglichst zu bündeln. Wir könnten durch höhere Preise also nicht die gesamte Belegschaft abdecken. Aus unternehmerischer Sicht ist es für die Produzenten übrigens nicht sinnvoll, sich nur von einem Einkäufer abhängig zu machen.

Zusätzlich stehen die Produzenten häufig unter Druck von anderen Industrievertretern, ihre Löhne nicht so sehr zu erhöhen. Nicht alle Fabrikanten haben erkannt, dass höhere Löhne nicht nur ein Kostenblock sind, sondern auch die Gesamtproduktivität und Zufriedenheit der Belegschaft steigert. Und zuletzt besteht auch die Frage, ob höhere Preise tatsächlich auch an die Belegschaft weitergegeben werden. Dies ist davon abhängig, wie stark die Arbeitnehmervertretungen sind. In vielen Ländern ist dies die zweite Grenze, auf die wir stoßen.

Workshop Modellprojekt  in Bangladesch

Also wartet Tchibo einfach ab? Oder wie engagieren wir uns?

Nanda Bergstein: Das WE Programm schafft einen Anfang: Wir sehen klare Verbesserungen sowohl beim Lohnsystem als auch bei Lohnerhöhungen. Und wir suchen weiter nach innovativen Lösungen, um Löhne noch weiter zu steigern. Dafür haben wir uns an Einzellösungen ausprobiert.

Letztes Jahr haben wir ein Modellprojekt in Bangladesch aufgebaut, um zu verstehen, wie weit wir auf einzelner Fabrikebene kommen könnten, wenn wir Beschäftigte über WE integrieren, Fabriken durch Ingenieure in der Optimierung der Produktionsabläufe unterstützen, und auch einen eigenen Beitrag leisten. Die Bedingungen in den ausgewählten Fabriken waren gut, denn wir haben ein vertrauensvolles Verhältnis zur Geschäftsleitung und vergleichsweise starke Arbeitnehmervertretungen. Die Beschäftigten haben uns aber in Befragungen sehr klar gesagt, dass eine Lohnerhöhung nicht zu besseren Arbeits- und Lebensbedingungen führen. Denn ihre Vermieter würden sofort die Mieten erhöhen. In Bangladesch gibt es diesbezüglich keine Regulierung. Ihnen wäre mehr mit konkreten Leistungen geholfen, wie etwa der Zugang zu besseren Wohnmöglichkeiten. Diese Erfahrungen haben uns gezeigt, dass wir einen systemischen und globalen Weg wählen müssen. Einzellösungen auf Fabrikebene werden keinen nennenswerten Impact haben.

Für die Beschäftigten können nur dauerhaft gute Bedingungen erreicht werden, wenn sie ihre Interessen selbst durchsetzen können

 Warum werden die Regierungen nicht selbst mehr aktiv?

Nanda Bergstein: Dafür sind die Ursachen sehr komplex; das hat mit vielen strukturellen und historischen Ursachen zu tun, die in jedem Land auch etwas anders sind. Es liegt aber sicher auch daran, dass viele Länder – nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte - um ihre Wettbewerbsfähigkeit fürchten, denn der Preis ist ein sehr wichtiger Faktor bei der Einkaufsentscheidung vieler Unternehmen. In vielen Fabriken muss deshalb parallel die Produktivität erhöht werden, was oft nur mit organisatorischen und technischen Lösungen zu erreichen ist. Unsere Erfahrung zeigt, dass eine niedrige Produktivität nicht an der Einzelleistung eines Fabrikarbeiters, sondern an dem Aufbau der Produktion liegt.

Wie sieht die Lösung also aus?

Nanda Bergstein: Es muss eine globale Lösung her - auch wenn es so wirkt, als ob dies kaum zu erreichen ist. Aber wir sind positiv gestimmt, denn wir sehen auch an anderer Stelle, dass auf globaler Ebene Menschenrechtsthemen angegangen werden.

ACT

Als Tchibo haben wir mit der ACT-Initiative unsere Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und global einkaufenden Handelsunternehmen verstärkt. Ziel der Initiative ist es, in den Produktionsmärkten branchenweite kollektive Lohnverhandlungen zwischen lokalen Gewerkschaften und Arbeitgebervertretern vor Ort einzuführen. Damit für den gesamten Sektor rechtlich bindende, zwischen den legitimen Partnern ausgehandelte, Tarifverträge in Kraft treten. Aufbauend auf den gesetzlichen Mindestlöhnen sollen die Löhne so regelmäßig, angemessen und branchenweit erhöht werden; das schafft gleiche Bedingungen für alle einkaufenden Unternehmen. Parallel erarbeiten die ACT-Mitglieder gemeinsam Wirkungsmechanismen für verantwortungsvolle Einkaufspraktiken und unterstützen Textilhersteller dabei, Produktionsstandards auf höchstem  Niveau einzuführen.

Wir wollen dazu – ähnlich wie beim WE Programm – einen vertrauensbildenden Dialogprozess auf jeweils nationaler und internationaler Ebene aufbauen und auf beiden Seiten – Arbeitgeber und Gewerkschaften – die Fähigkeit für eine konstruktive Verhandlungskultur stärken.

Gut zu wissen: Fakten zum Thema Lohn

Was bedeutet ein fairer Lohn?

Bei „fair“ bezieht sich Tchibo auf die Internationale Arbeitsorganisation - eine Behörde der Vereinten Nationen. Sie hat Kriterien für ein faires Lohn- und Auszahlungssystem festgelegt; dazu zählt neben der Höhe des Lohns beispielsweise eine regelmäßige und vollständige Lohnzahlung. Außerdem ist wichtig, dass die Beschäftigten in den Fabriken die Einteilung in die gewählten Lohngruppen als fair empfinden.

Was bedeutet ein existenzsichernder Lohn?

Das ist ein Lohn, der stets den Grundbedarf der Beschäftigten und ihrer Familien abdeckt und einen Teil des Einkommens zur freien Verfügung belässt. Hierfür gibt es verschiedene Methoden zur Berechnung. Tchibo orientiert sich am sogenannten Asia Floor Wage dessen Methode von Gewerkschaften und Arbeitsrechtsorganisationen aus Asien mitgetragen wird. Aus Tchibo Sicht sollte der Asia Floor Wage in örtlichen Tarifverhandlungen als Benchmark mit berücksichtig werden.

Warum ist die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften so wichtig?

Wir wissen, dass für die Beschäftigten nur dauerhaft gute Bedingungen erreicht werden können, wenn sie ihre Interessen selbst durchsetzen können. Dazu bedarf es lokale und unabhängige Arbeitnehmervertreter. Tchibo arbeitet dafür mit Gewerkschaften zusammen. Eine Einmischung findet nicht statt, das wäre ein Verstoß gegen internationales Arbeitsrecht.