Nanda Bergstein, Tchibo Head of Vendor Relations, und Christoph Honnefelder, Tchibo Director Consumer Goods Sourcing.
Mensch & Verantwortung

Textilindustrie: Langfristiges Tchibo Engagement in Bangladesch

Die jüngsten Katastrophen in Fabriken in Bangladesch zeigen, wie wichtig es für Handelsunternehmen (wie Tchibo) ist, verantwortungsvoll in Herstellungsländern zu arbeiten.

Wir begrüßen deshalb, dass sich nun weitere große internationale Textilunternehmen dem von uns und PvH bereits in 2012 unterzeichneten Feuer- und Gebäudesicherheitsabkommens für Bangladesch anschließen. Dieses Abkommen ist die Basis, weitere Schritte sind aber notwendig. Mit unserem WE Programm zur  kontinuierlichen Verbesserungen der Sozialstandards bei Lieferanten, der aktiven Unterstützung von Existenz sichernden Löhnen für Näherinnen und von Gewerkschafts- und Tarifverhandlungsfreiheit bekennt sich Tchibo zu einem langfristigen Engagement in Bangladesch.

Zuständig für die Zusammenarbeit mit Lieferanten sind bei uns unter anderem Christoph Honnefelder, Director Consumer Goods Sourcing. Er ist gesamthaft verantwortlich für Sourcing, Einkauf und Nachhaltigkeit im Bereich Non Food.

Und Nanda Bergstein, Head of Vendor Relations. Sie arbeitet mit insgesamt 9 Kollegen in Hamburg, Bangladesch und Hongkong sowie 40 freien Trainern und Beratern in den Hersteller-Ländern daran, die Arbeitsbedingungen in asiatischen Produktionsstätten zu verbessern. Zeit für ein Gespräch.

Mit wie vielen Fabriken arbeitet Tchibo in Bangladesch?

Christoph Honnefelder: Wir haben derzeit 19 feste Fabriken vor Ort und kürzlich ein Büro in Dhaka eröffnet, um eine enge Begleitung bezüglich Qualität und Sozial- sowie Umweltstandards zu gewährleisten. Jede Fabrik in Bangladesch, die mit uns arbeitet, ist in den WE Entwicklungsprozess integriert (siehe unten).

Warum produziert Tchibo überhaupt in Bangladesch?

Christoph Honnefelder: Bangladesch ist mittlerweile international der zweitwichtigste Markt für Textilien nach China. Entwicklungen in China deuten darauf hin, dass Bangladesch mittelfristig noch weiter an Bedeutung gewinnen wird: Die Produktionskapazitäten in China verschieben sich deutlich in Richtung Binnenmarkt, um die lokale Nachfrage zu decken. So sind wir und andere Unternehmen immer weniger in der Lage, unsere Produkte in der benötigen Qualität und zu den Standards und Preisen aus China zu beziehen, wie sie unser Kunde erwartet. Zur Sicherung unseres Geschäfts müssen wir Alternativen aufbauen. Gegen einen Einkauf in Bangladesch ist nichts einzuwenden, solange dieser mit einer kontinuierlichen Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten einhergeht. Es ist sehr wichtig, dass sich große internationale Marktteilnehmer aufgrund des öffentlichen Drucks jetzt nicht aus Bangladesch zurückziehen. Verantwortung bedeutet, jetzt im Land zu bleiben, um die Arbeitsplätze dort zu erhalten.

Tchibo Mitarbeiterin Nanda Bergstein im Gespräch mit Näherinnen aus Bangladesch.

Die offenbar gehäuft auftretenden Unglücke in Fabriken sprechen nicht für eine Verbesserung, was passiert da?

Nanda Bergstein: Zunächst erfüllen viele Fabriken internationale Bau- und Elektrostandards nicht. Besonders ältere Produktionsstätten sind häufig umfunktionierte, teilweise auch aufgestockte Wohnhäuser und nicht für eine industrielle Nutzung ausgelegt. Hier fehlen Fluchtwege und Notausgänge. Die Treppenhäuser können zu eng sein und meist reicht der Platz vor den Fabriken nicht aus, damit alle Beschäftigten unbehindert ins Freie gelangen können. Auch Elektrostandards sind ein großes Problem. Elektrische Leitungen sind meist nicht ausreichend gesichert. In einem Land mit hoher Luftfeuchtigkeit entstehen daraus schnell Kurzschlüsse. Wenn in unmittelbarer Nähe entzündliche Textilien gelagert werden, können Brände daraus entstehen. Bislang haben die Behörden vor Ort versagt, die für einen besseren Brandschutz und Gebäudesicherheit nötigen gesetzlichen Standards sicherzustellen.

Entscheidend ist auch: Unfälle können  trotz hoher Sicherheitsanforderungen passieren. Wichtig ist in solchen Fällen, dass alle Personen in der Lage sind, den Gefahrenherd so schnell wie möglich zu verlassen. Dazu müssen sie in Brandbekämpfung- und Evakuierung geschult sein. Das hilft natürlich alles nichts, wenn die Vorgesetzten den Beschäftigten nicht erlauben, den Arbeitsplatz schnell zu räumen.

Was kann getan werden, um das Risiko vor Ort zu reduzieren?

Nanda Bergstein: Die Formeln lauten: Experten, die in der Lage sind, den Sicherheitszustand von Fabriken zu beurteilen; Unabhängige Inspektionen der Fabriken mit sofortigen Sanktionen gegen die „schwarzen Schafe“; Sensibilisierungstrainings für Beschäftigte und Management, besonders unter Einbeziehung der Interessensvertreter der Beschäftigten; Unabhängige Beschwerdestellen, um unsichere Fabriken identifizieren zu können;  Sicherstellung der Umsetzung gesetzlicher Vorgaben durch örtliche Behörden, inkl. Strafverfolgung bei fahrlässiger Nichteinhaltung von gesetzlichen Standards. Und ganz wichtig: Wir müssen die Beschäftigen in dem Maße stärken, dass sie bei Gefahr im Zweifel den Anweisungen ihrer Vorgesetzten nicht Folge leisten, sondern sich selbständig in Sicherheit bringen.

WE Schulung: Arbeitsgruppen

Und was tut Tchibo?

Nanda Bergstein: Neben einer sorgfältigen Auswahl unserer Produktionsstätten führen wir als Auftraggeber mit den Beschäftigten und ihren Vertretern im Rahmen unseres WE Programms Trainings durch und sensibilisieren das Management kontinuierlich bezüglich der Thematik. Im Rahmen unserer Audits und Trainings prüfen wir unter anderem, ob Fluchtwege frei und ausreichend Notausgänge sowie Feuerlöscher vorhanden sind. Auch, ob die freigegebenen Baupläne dann tatsächlich dem Gebäude entsprechen. Einen besonderen Fokus setzen wir auf Arbeitnehmervertretungen. Beschäftigte wissen in der Regel, wenn in ihrem Arbeitsumfeld etwas nicht stimmt, sei es, dass sie Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind oder andere Standards nicht eingehalten werden. Wenn ihre Vorgesetzten ihnen aber kein Gehör schenken oder sie keine Anlaufstelle haben, um Beschwerden vorzubringen, dann nützt auch jede Sensibilisierung nichts.

Deswegen ist integraler Bestandteil unseres WE Programms der Aufbau von Dialogstrukturen und Kooperation in den Fabriken. Zudem arbeiten wir Schritt für Schritt daran, Vertrauen zwischen Fabrik-Managern und Gewerkschaften herzustellen. Damit sollen Beschäftigte in Bangladesch in die Lage versetzt werden, Gewerkschaftsfreiheit und ihr Recht auf Tarifverhandlungen in Anspruch zu nehmen. Ausreichend sind diese Maßnahmen aber nicht, solange keine effektiven Kontroll- und Sanktionsmechanismen seitens der Behörden installiert werden und auch die nötige Expertise im Land nicht aufgebaut wird.

Was muss also noch passieren?

Nanda Bergstein: Die jüngste Vergangenheit zeigt, dass singuläre Maßnahmen nicht ausreichen. Wir brauchen eine sektorweite Initiative, die Unternehmen, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen, Arbeitgeberverbände und vor allem den Staat mit einschließt. Nur gemeinsam werden wir umsetzen können, was längst überfällig ist. Deswegen ist Tchibo im September 2012 einem großen Brandschutzprogramm für Bangladesch beigetreten. Hier wollen wir gemeinsam mit Einkäufern anderer, internationaler Handelsunternehmen, der Regierung, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen an einem Strang ziehen, um das Thema in allen Facetten ganzheitlich zu bearbeiten. Wir freuen uns, dass jetzt endlich andere Textilunternehmen dem Abkommen beigetreten sind. Jetzt können wir an einem Strang ziehen, um die Sicherheitsstandards zu verbessern. Wir erhoffen uns auch einen gemeinsamen Angang für existenzsichernde Löhne und die Durchsetzung von Gewerkschafts- und Tarifverhandlungsfreiheit.

WE Schulung in Bangladesch

Warum hat es so lange gedauert?

Nanda Bergstein: Die Gründe sind schwer einzuschätzen.  Auch wir bei Tchibo haben uns über Monate sehr intensiv mit den Inhalten und den Programmpartnern auseinandergesetzt,  bevor wir uns zu einer Teilnahme entschieden haben. Andere Unternehmen werden ähnliche Entscheidungsprozesse durchlaufen. Sicherlich gibt es Berührungsängste hinsichtlich einer Zusammenarbeit mit den beteiligten Nichtregierungsorganisationen. Diese zählen zu den besonders kritischen und haben in der Vergangenheit auch teils drastische Kampagnen gegen Unternehmen durchgeführt. Wir kennen das aus eigener Erfahrung, denn wir waren selbst Adressat einer solchen Kampagne in 2005/2006.

Wie hat Tchibo auf diese Kampagne reagiert?

Christoph Honnefelder: Die Kritik an Tchibo war damals gerechtfertigt und hat zu einem Strategiewechsel im Unternehmen geführt. Heute verstehen wir Unternehmensverantwortung als integralen Bestandteil unserer Geschäftsstrategie. Im Bereich Non Food arbeiten wir in Ergänzung zu unserem Qualifizierungsprogramm WE intensiv daran, unsere Einkaufsprozesse Schritt für Schritt mit Umwelt- und Sozialanforderungen zu verzahnen. Nachhaltigkeit in der Non Food Lieferkette wird aus dem Einkaufsbereich heraus durch das Team von Nanda Bergstein in die Prozesse integriert. Das schafft Identifikation unseres Einkaufs mit den Herausforderungen, schafft eine zusätzliche Vertrauensbrücke zu den Lieferanten und verkürzt die Wege hin zu einer zügigen und erfolgreichen Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen. Als wichtige Meilensteine haben wir unser Produzentenportfolio deutlich gestrafft,  setzen auf langfristige Partnerschaften mit den für uns produzierenden Fabriken und arbeiten zunehmend im Direktgeschäft mit ihnen zusammen. Hierdurch erreichen wir Transparenz über die Bedingungen vor Ort und können die Umsetzung von Verbesserungen in der Produktion im Rahmen unseres WE-Programms besser unterstützen. 

INFO:

Statt Sozialstandards einseitig und von oben herab einzufordern, setzt Tchibo auf moderierte Dialogprozesse. Alle Beteiligten –Manager, Beschäftigte, ihre Interessensvertreter und die Einkäufer – werden an einen Tisch geholt, um gemeinsam Lösungen für eine bessere Zusammenarbeit im Arbeitsalltag und bessere Sozialstandards zu finden. Dieses sogenannte WE Programm (WE steht für “Worldwide Enhancement of Social Quality”) wurde 2007 von Tchibo in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) auf den Weg gebracht. Mittlerweile hat Tchibo über 200 Fabriken weltweit in das zweijährige Programm integriert. Ziel ist es bis 2015 alle wichtigen Produktionsstätten, bei denen Tchibo einkauft, durch WE weiterzuentwickeln.